Jens-Paul
Wollenberg ist ein Gesamtkunstwerk. Das Wrack im Frack knöpft sich
einen kaputten Helden nach dem anderen vor. Diesmal ist es Brechts »Baal«,
und die szenische Lesung in der Stötteritzer Margerite nennt der
Interpret ein »Sommerexperiment«. Baal, das ist der Gegenentwurf
zum braven Spießer. Schnaps und Frauen verschlingend, hinterlässt
er eine Spur zerrütteter Existenzen. Johanna, die Braut seines
Freundes, begeht Selbstmord, nachdem Baal sie nach einer Nacht fallen
lässt. Sophie, die so naiv ist, ihn retten zu wollen, will er ebenfalls
nach kurzer Zeit los werden. Doch bei all der menschenverachtenden ich-bezogenen
Lebenswut bleibt dieser Mann in einem Punkt ganz menschlich: Auch Baal
hat Angst vor dem Tod. Er weiß, dass er sterben muss. Und in der
Erinnerung an die Episoden seines Daseins blitzt in kurzen Momenten
eine fast zärtliche Seite des rauen Kerls auf.
Achim Richter, Chef der Stötteritzer Margerite, hat die Textfassung erarbeitet. Baals wilde Lebensgeschichte umrahmt er mit kurzen Auszügen aus Schillers »Räubern«. Hier lässt er Graf von Moor und dessen Sohn Franz zu Wort kommen. »Tausend Flüche donnern mir nach«, eröffnet der Alte das Szenario. Bucklig tritt Wollenberg vor das zahlreich erschienene Publikum und charakterisiert Brechts Figur mit Schillers Worten auf den Punkt. Ein schwarzes Tuch hat er dabei tief ins Gesicht gezogen. Erst als er sich an einen Tisch setzt, um in Baals Kosmos einzutauchen, gibt er seine Mimik preis.
Allein stimmlich verleiht er den Figuren Gestalt. Spricht er den Schiller-Prolog zittrig wie ein alter Mann, so strotzen Baals Worte dagegen vor Lebendigkeit und aggressiver Lebenslust. In der Rolle der Vermieterin erklimmt Wollenberg die Höhen weiblicher Intonation, fast kreischend gibt sie ihrem Ärger freien Lauf. Schließt der Zuschauer die Augen, findet er sich in einem Hörspiel wieder. Und so verpasst er überdies nicht viel. Denn Jens-Paul Wollenberg sitzt an einem einfachen Tisch. Neben sich eine Leselampe, davor einige Flaschen mit keineswegs anti-alkoholischem Inhalt. Nur seine Mimik vollzieht in kurzen Momenten den Fortgang der abscheulichen Handlung aus Liebe, Lust und Tod.
Christina Dirlich in der »Leipziger Volkszeitung« vom 27. Juli 2004
Eine szenische Lesung mit Jens Paul Wollenberg
Historisches
Vorbild für den Büchnerschen Woyzeck ist der am 3. Januar
1780 in Leipzig als Sohn eines Perückenmachers geborene Johann
Christian Woyzeck. Er erstach am 2. Juni 1821 die 46-jährige Witwe
Johanna Christiane Woost in einem Hausflur in der Leipziger Sandgasse
aus Eifersucht. Im Prozess erstellte der Medizinprofessor Johann Christian
August Clarus zwei Gutachten über die Zurechnungsfähigkeit
des Angeklagten. Woyzeck wurde nach einem langen Verfahren, in dem sich
sogar der sächsische Thronfolger mit einem Gutachten für ihn
einsetzte, verurteilt und am 27. August 1824 auf dem Marktplatz in Leipzig
öffentlich hingerichtet.
Not
und Elend, Intrigen gegen das Volk und der Wunsch nach Selbstbestimmung
und Freiheit kommen in den Liedern der Pariser Commune zum Ausdruck.
Nach originalen Texten (in deutscher Übersetzung) und Noten wurden
die Lieder mit Textteilen von Bert Brecht konfrontiert und von den drei
Interpreten Wollenberg, Tanner und Funckner dargeboten.
Jens
Paul Wollenberg, der wortgewaltige, wortwitzige Wortspieler, entführte
erneut in die Welt der Klassik. Nach Kafka (»Bericht an eine Akademie«,
»Die Verwandlung«, »In der Strafkolonie«), Bertolt
Brecht (»Baal«) und Friedrich Schiller (»Die Räuber«)
stand William Shakespeares »Hamlet« auf dem Plan. Es wurde
ein Hamlet präsentiert, der seine Ängste, seine Unentschlossenheit
und den Prozess der Schicksalsergebenheit auf unterhaltsame Art wortreich
darstellt.
»Denk
ich an Deutschland in der Nacht,
Dann bin ich um den Schlaf gebracht,
Ich kann nicht mehr die Augen schließen,
Und meine heißen Tränen fließen.«
So beginnt Heines Gedicht »Nachtgedanken«, das im Sommer 1843 entstand. Die Sorge um die politische Entwicklung in der Heimat, die ihm den Schlaf raubte, und die Sehnsucht, seine 72 Jahre alte Mutter wiederzusehen, waren die Gründe, die ihn veranlassten, wenige Monate später seinen Aufenthalt im selbst gewählten französischen Exil zu unterbrechen und nach Deutschland zu reisen. Aus den Eindrücken dieser Reise, die über Brüssel, Amsterdam und Bremen nach Hamburg und auf der Rückfahrt nach Hannover, Minden, Paderborn, Köln und Aachen führte, entstand »Deutschland. Ein Wintermärchen«, eine der bedeutendsten politischen Dichtung in deutscher Sprache. Heine verflocht hier nicht nur mit großer Kunst Komik und Pathos, Elegisches und Humor miteinander, er übte vor allem ätzende Kritik an den politischen und gesellschaftlichen Zuständen Deutschlands, das, wie er ahnte, am Vorabend einer politischen Erhebung stand.
Drei
Musiker ohne Kontrabass, warteten auf die Straßenbahn und erzählten
sich was, da kam der Wollenberg vorbei, ja, was ist denn das, drei Musiker
ohne Kontrabass. Sie kammen ins Erzählen, der eine von seinen Gitarrenkünsten
mit Luftgriffen und kehligen Lauten, der andere griff auf dem Gitarrenkasten
in die Tasten und der Dritte im Bund trommelte den Takt dazu. Der Jens,
ja, der kennt´s, und brachte seine Stimme, Laute und Töne,
mit Texten, die er zuletzt gelesen, von Kinski, Faßbinder, Liefland
und Heiner Müller zu Gehör ... und es kam wie es kommen mußte,
das war nicht schwer, in einer Straßenbahnhaltestelle wurde ein
Projekt geboren, auf der Stelle. So entstand das JazzProjekt Tram stop,
feat. Jens Paul Wollenberg.
Als szenische Lesung eingerichtet von Achim Richter
»Wie du, Vorfahr und Bruder, geh auch ich
Im Zickzack zwischen Trieb und Geist durchs Leben,
Heute Weiser, morgen Narr, heute inniglich
dem Gott, morgen heiß dem Fleisch ergeben.«
Die
Metapher vom »Zickzack zwischen Trieb und Geist« verdeutlicht
die subjektive Problematik des Dichters und charakterisiert den Roman
als »Buch der Lebenskrise, der Künstlerkrise, der Gesellschaftskrise«.
Der Dichter als ein einst zurückgezogen lebender Mann, der sich
im mittleren Alter für gesellschaftliche Anlässe zu interessieren
beginnt, exzessiv Alkohol konsumiert, Jazzmusik hört und tanzen
lernt, mit Frauen anbändelt und sich kurzen Liebesverhältnissen
hingibt; die Dichotomie in seinem Wesen, sein Zerrissensein zwischen
eigenem hohen Anspruch und allzu gewöhnlicher Wirklichkeit, sein
Leben im »Zickzack« zwischen Bürgertum und dem idealisierten
Künstlertum der »Unsterblichen«. Hallers Seelenkrankheit
ist nicht die Schrulle eines einzelnen, sondern die Krankheit der Zeit
selbst, die Neurose jener Generation, welcher Haller angehört,
und von welcher keineswegs nur die schwachen Individuen befallen werden,
sondern gerade die starken, geistigsten, begabtesten ...